Die Sozialpädagog*innen sind nicht unsere Gegner, sondern unsere Unterstützer.
Ehemaliger Mitbewohner Sebastian*
22 Jahre alt
*Name geändert
Ehemaliger Mitbewohner Sebastian*
22 Jahre alt
*Name geändert
Erfahrungsbericht von Rosalin (15 Jahre alt) aus dem Wohnalltag der Wohngruppe
Im Wohnhaus der Kinder- und Jugendeinrichtung Mattini an der Bachstrasse 65 in Brig wohnen verteilt auf zwei Wohngruppen maximal 16 Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 18 Jahren. Alle haben ein eigenes Zimmer. Wir versuchen, den Wohnalltag mit den Bewohnenden möglichst so zu gestalten, als wenn die Kinder und Jugendlichen in einer Familienstruktur aufwachsen würden. Einige Unterschiede gibt es aber schon.
Kannst du mir vielleicht einfach mal schildern, wie so ein normaler Tag unter der Woche aussieht?
Also, ich stelle meinen Wecker auf 06.10 Uhr, damit ich weiss, dass ich bald aufstehen muss und stehe dann wirklich so um 06.00/06.15 Uhr auf. Ich stehe allein auf und zirka um 06.45 Uhr gehe ich runter in den Wohnraum und esse noch mein Frühstück. Dann mache ich vielleicht noch was für die Schule, falls es noch etwas braucht, oder warte bis um 07.20 Uhr und gehe dann auf den Bus.
Du machst morgens vor der Schule noch was für die Schule?
Ja, wenn ich irgendwas vergessen habe. Dann komme ich am Mittag zurück ins Mattini, ich bin zirka um 12.05 Uhr da, esse, hole meine Sachen für die Schule und dann gehe ich um 12.50 Uhr wieder. Nach der Schule bin ich um zirka 16.30 Uhr wieder zurück. Wenn ich Training habe, esse ich etwas, gehe ins Training und mache danach meine Schulsachen. Und wenn nicht, erledige ich einfach direkt meine Sachen und mache anschliessend nicht so viel. Ja und dann gehe ich essen, duschen und wenn ich nicht müde bin, dann lerne ich oder organisiere meinen ganzen Schrank neu.
Und wie ist das mit Aufgaben wie Zimmerputzen, Wäsche und so?
Meinen Zimmerputz mache ich jede Woche am Freitag bevor ich ins Training gehe, das Badezimmer-Ämtli am Samstagmorgen und meine Wäsche mache ich am Donnerstag.
Wie gestaltest du deine Wochenenden und deine Freizeit?
Am Samstag tagsüber gehe ich meistens nach Hause zu meiner Familie. Ich esse dann da und komme immer so um 22.00 Uhr am Abend zurück. Falls ich aber bei einer Kollegin übernachte, dann komme ich am Sonntag so gegen 18.00 Uhr zurück.
Und wenn du nicht bei einer Kollegin übernachtest, wie läuft der Sonntag in der Institution ab?
Am Sonntag machen wir nach dem Frühstück jeweils mit allen Anwesen den eine Gruppenaktivität oder einen Gruppenausflug.
Würdest du sagen, dass der Alltag in der Institution sehr anders ist als dein Alltag zu Hause?
Ja, also ich meine, um hier zu sein, muss es zu Hause schon schlimm sein. Hier kann ich wirklich einfach meine ganze Woche organisieren und hier finden wir eine Lösung für alles.
Also ist es hier irgendwie strukturierter?
Ja, ist es. Also zu Hause muss ich viel selbständiger sein, ich muss meinen ganzen Tag selber strukturieren, meine Hausaufgaben selber machen, selber lernen, alles alleine machen. Aber so meine Wäsche und so meinen Zimmerputz habe ich eigentlich nie gemacht. Das mache ich hier jetzt.
Was Hobbies und deine Freizeit angeht, hat sich da etwas grundlegend verändert?
Da hat sich hauptsächlich nichts geändert, ausser dass ich jetzt am Montag und am Dienstag fast immer im Stress bin wegen dem Bus. Da habe ich dann nicht mehr so viel Zeit, um mich auszuruhen.
Und wie lange dauert das? Also ein Weg zum Training oder zur Schule?
Hmm, zirka 15 Minuten.
Das geht doch eigentlich?Oder dauert es 15 Minuten bis zum Bus?
Also zum Bus brauche ich 10 Minuten bis zur Haltestelle. Der Bus braucht nachher 5 bis10 Minuten wegen dem ganzen Stau und allem.
Erfahrungsbericht von Barbara (18 Jahre alt) über das Leben im Aussenwohnplatz
Die Kinder- und Jugendeinrichtung Mattini verfügt über zwei Wohnungen, die sie als Aussenwohnplatz anbietet. Ziel ist es, dass junge Erwachsene, die die Volljährigkeit erlangt haben, sich schrittweise von der Wohngruppe ablösen und üben können, das Leben selbständig zu gestalten. Die Jugendlichen haben zuvor im Mattini gelebt und wurden allmählich an den Übertritt in die eigenen vier Wände herangeführt. Auch im Aussenwohnplatz steht im Hintergrund das Betreuungsteam bei Bedarf mit Rat und Struktur zur Verfügung (telefonischer Kontakt rund um die Uhr, Abendessen, Freizeitaktivitäten, Notfallbett usw.). Zudem werden Hausbesuche der Bezugsperson durchgeführt, um die Jugendlichen in ihrer Autonomieentwicklung zu unterstützen. Eine gelingende Weiterentwicklung der Jugendlichen ist nur möglich, wenn ein offener und transparenter Austausch von beiden Seiten aus stattfindet und wir in Kooperation bleiben. Seit Mitte März 2024 lebt eine bald volljährige Jugendliche, die im 2. Lehrjahr einer EFZ-Ausbildung ist, in einem Aussenwohnplatz der Kinder- und Jugendeinrichtung Mattini. Zuvor lebte sie in einem regulären Zimmer auf der Wohngruppe, bevor sie das Progressionszimmer bezog. Dort boten sich die ersten Möglichkeiten, sich auf ein selbständiges Leben vorzubereiten. Beispielsweise wurden dreimal wöchentlich die Mahlzeiten selbst zubereitet. Der Übertritt in den Aussenwohnplatz ist eine weitere Chance, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die das selbständige Leben verlangen, zu erlernen.
Woran hast du gemerkt, dass du bereit bist, in den Aussenwohnplatz zu wechseln und weitgehend selbständig zu leben?
Ich konnte bereits viel selbständig machen wie zum Beispiel Kochen, Wäsche machen und so war es ein logischer Schritt für mich. Auch habe ich meine Schlafenszeit selbständig eingeteilt und bin allein aufgestanden, für die Schule und Arbeit habe ich alles selbst gemacht. Durch den Umzug sind meine eigenen 4 Wände grösser geworden.
Wie wurde der Übergang mit dir gestaltet? Wo lagen die Herausforderungen für dich?
Schrittweise wurde mit der Bezugsperson und dem Amt für Kindesschutz der Umzug geplant. Am meisten hat mich die ungewisse und ungenaue Planung, wann genau ich den Aussenwohnplatz erhalte, gestresst. In der Wohnung habe ich dann bemerkt, was es alles noch zusätzlich braucht. Zum Beispiel gebührenpflichtige Abfallsäcke, das richtige Waschmittel, Tupperware … Alles Sachen, die ich im Progressionszimmer nicht brauchte, jedoch fürs selbständige Wohnen nötig sind.
Wie gestaltet sich dein Lebensalltag im Aussenwohnplatz? Wie sieht eine typische Woche von dir aus (Arbeit, Haushalt, soziale Kontakte, Hobbies, Ausgang usw.)?
Während der Woche arbeite ich oder gehe zur Schule. Ich starte früh in den Tag, mache mir Frühstück und verlasse gegen 6 Uhr die Wohnung. Nach dem Feierabend mache ich eine Pause, bevor ich mir etwas koche und esse. Falls nötig, mache ich Hausaufgaben oder lerne. Zudem stehen diverse alltägliche Aufgaben an: duschen, Abwasch machen oder mal auch putzen. Am Wochenende treffe ich mich mit Kollegen draussen oder sie besuchen mich.
Wie sieht die Betreuung der Kinder- und Jugendeinrichtung im Aussenwohnplatz aus? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit (z. B. Wochenplan, Gespräche, telefonische Kontakte usw.)?
Wie ist das Vorgehen, wenn du irgendwo nicht weiterkommst? Einmal in der Woche erhalte ich Besuch von meiner Bezugsperson und einmal gehe ich ins Mattini, bin dort im Austausch und nehme mit der Gruppe das Abendessen ein. Einmal wöchentlich melde ich mich telefonisch bei den Sozialpädagog*innen und bespreche die Woche. Wenn ich bei einem Thema anstehe, kann ich dies auf meiner ehemaligen Wohngruppe im Mattini anbringen.
Was hat sich für dich mit dem Bezug des Aussenwohnplatzes verändert? Wo siehst du aktuell die grössten Herausforderungen für dich und deine Lebensgestaltung?
Welche Themen musst du vor allem noch lernen? Wer unterstützt dich dabei? Ich muss jetzt öfters für mich kochen. Die grösste Herausforderung ist, dass ich motiviert bleibe, meine Sachen zu machen. Damit ich lerne, putze usw. Ich würde gerne direkt aufstehen, wenn der Wecker klingelt. Ab und zu kommt es aber vor, dass ich immer wieder auf die Snooze-Funktion drücke. Aktuell habe ich gleitende Arbeitszeiten, dann kommt es eher vor, dass ich das Aufstehen hinauszögere.
Erfahrungsbericht von Sebastian (22 Jahre alt) über seine Zeit in der Kinder- und Jugendeinrichtung Mattini
Mein Name ist Sebastian und mittlerweile bin ich bereits 22 Jahre alt. Als ich im Mattini untergebracht wurde, hatte ich gerade meine 3. OS abgeschlossen und begann mit der SFB. Ich wurde durch eine reguläre Platzierung im Mattini aufgenommen. Obwohl ich bereits vorab ein Vorstellungsgespräch hatte, wusste ich noch nicht genau, was mich erwarten würde. Als ich dann im Mattini ankam, empfand ich die Situation als etwas befremdlich. Der Wohntrakt war auf zwei Wohngruppen aufgeteilt und durch eine verschlossene Tür voneinander getrennt. Zudem waren die Zimmer sehr klein. Aufgrund meiner schüchternen Art und Unsicherheit verbrachte ich in den ersten Tagen viel Zeit allein in meinem Zimmer und mied den Kontakt zu den anderen Jugendlichen und Mitarbeitenden. Erst durch die gemeinsamen Aktivitäten wie Erlebnis-Pädagogikwochenenden und diverse Lager konnte ich Vertrauen aufbauen und die anderen besser kennenlernen. Diese Erfahrungen bleiben bis heute positiv in meiner Erinnerung. Während meiner Platzierung im Mattini konnte ich mich weiterentwickeln und an Selbstvertrauen gewinnen. Dank der Unterstützung konnte ich eine Lehrstelle finden und erfolgreich starten. Im Progressionszimmer konnte ich zudem lernen, wie ich meine Finanzen in den Griff bekomme, einen Haushalt führe und meinen Alltag strukturiere. Als es dann Zeit für meinen Austritt aus dem Mattini war, plante ich gemeinsam mit meiner Bezugsperson die Austrittsphase. Obwohl ich mich auf das selbstständige Wohnen in einer WG freute, fehlte mir anfangs die verlässliche und konstante Unterstützung durch das Mattini. Um den Übergang zu erleichtern, konnte ich noch während 4 Monaten regelmässig das Abendessen im Mattini einnehmen und auf die Hilfe der Mitarbeitenden zählen.
Obwohl ich mittlerweile seit 3 Jahren nicht mehr im Mattini wohne, schätze ich den Kontakt zu den Mitarbeitenden sehr und besuche das Mattini regelmässig. Meine Empfehlung an zukünftige Jugendliche ist es, sich auf die Struktur und Angebote des Mattini einzulassen. Die Sozialpädagog*innen sind nicht unsere Gegner, sondern unsere Unterstützer. Das breitgefächerte Hilfsangebot des Mattini bietet zahlreiche Möglichkeiten, von denen man profitieren kann.
Erfahrungsbericht von Moon (16 Jahre alt) über ihre Zeit in der Kinder- und Jugendeinrichtung Mattini
Mein Name ist Moon und ich bin mittlerweile 16 Jahre alt. Ich war insgesamt 7 Monate im Mattini platziert und damals 14 Jahre alt. Als mir mitgeteilt wurde, dass ich ins Mattini muss, hatte ich grosse Angst, da ich zuvor noch nie etwas davon gehört hatte. Ich hatte die Vorstellung eines dunklen und grauen Kinderheims mit hohen Zäunen im Kopf. Als mich die AKS-Mitarbeiter abholten, war das eine sehr schwierige Situation für mich und ich weinte viel. Es war schwer, meine vertraute Umgebung zu verlassen, ohne zu wissen, was mich erwartet. Ich kann mich an den Tag der Platzierung im Mattini sehr gut erinnern. Es war ein sonniger Tag, als wir ankamen und von einer Sozialpädagogin begrüsst wurden. Ich wurde direkt in mein Zimmer gebracht, damit ich mich ausruhen konnte. Das Haus wirkte leer und ich sah keine anderen Jugendlichen, was später verständlich war, da ich während der Hausaufgabenzeit ankam, als alle in ihren Zimmern waren. Beim Abendessen traf ich dann alle anderen Jugendlichen und anfangs fühlte ich mich sehr unwohl. Aber ich bemerkte schnell, dass eine lockere Stimmung im Haus herrschte, was meine Unsicherheit immer mehr verschwinden liess. Ich konnte mich recht schnell im Alltag im Mattini zurechtfinden. Besonders hilfreich war meine Bezugsperson, die mich unterstützte und bei der ich meine Befindlichkeiten und Probleme besprechen konnte. Die Gespräche mit ihr waren immer sehr wertvoll für mich. Wichtig war auch der Kontakt zu den anderen Jugendlichen, der mir das Gefühl gab dazuzugehören. Wir genossen gemeinsame Teerunden, spielten Spiele und unterhielten uns über typische Jugendthemen. Die Tatsache, dass das Betreuungsteam aus 7 Sozialpädagog*innen bestand, war für mich keine Herausforderung. Im Gegenteil, ich schätzte die unterschiedlichen Haltungen, Interessen und Lebenserfahrungen. Die grösste Herausforderung war der Loyalitätskonflikt zwischen meinen Eltern und dem Mattini. Einerseits fand ich Ruhe und Verständnis im Mattini, andererseits vermisste ich meine Familie und mein gewohntes Umfeld zu Hause. Meine Bezugsperson stand im regelmässigen Austausch mit meinen Eltern und ein allmählicher Kontakt zwischen mir und meinen Eltern konnte wieder aufgebaut werden. Es half auch, dass das Mattini und meine Eltern versuchten, Regeln und Strukturen zu Hause und im Mattini anzugleichen, was anfangs schwierig für mich war. Ich fand es anfangs herausfordernd, dass es grosse Unterschiede zwischen den Regeln und der Struktur im Mattini und meinem Zuhause gab.
Die Erfahrung im Mattini hat meine persönliche Entwicklung jedoch enorm unterstützt. Ich habe gelernt, mich auszudrücken, für mich einzustehen und meine Unabhängigkeit zu fördern. Dies hilft mir jetzt in meiner Lehre sehr. Ich habe an Selbstbewusstsein gewonnen und kann nun meine Wünsche, Bedürfnisse und Anliegen selbst vertreten. Ich bin mir meiner Aufgaben, Pflichten und Verantwortlichkeiten bewusst und kann sie in meinem Alltag übernehmen, ohne kontrolliert zu werden. Das Mattini hat mich in allen Lebensbereichen unterstützt, was für meine Zukunft von grosser Bedeutung ist. Mein Austritt aus dem Mattini erfolgte schrittweise. Zuerst wurden zusätzliche Übernachtungen zu Hause geplant und schliesslich habe ich einen ganzen Probemonat zu Hause verbracht. Währenddessen fanden regelmässig Gespräche mit mir und meinen Eltern statt. Diese Austrittsphase war sehr wichtig für mich, denn sie gab mir Sicherheit zu wissen, dass das Mattini immer noch zur Unterstützung da ist, falls es zu Hause schwieriger wird. Der Gedanke, von einem Tag auf den anderen wieder 100 % zu Hause zu wohnen, hätte mich und meine Familie überfordert. Ich bin froh und dankbar, dass ich diese schwierige Phase in meinem Leben im Mattini verbringen durfte. Ich habe wertvolle Erfahrungen gemacht, die mir auch weiterhin im Alltag helfen werden. Zukünftigen Jugendlichen empfehle ich, die Vergangenheit loszulassen und sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Es ist wichtig, im Mattini nicht im Zimmer zu bleiben, sondern Kontakt zu anderen Jugendlichen und vor allem Mitarbeitenden zu suchen. Sprecht mit den Mitarbeitenden und eurer Bezugsperson und lasst euch auf die Strukturen des Mattini ein. Weglaufen bringt nichts.